Aus der Deutschsprachigen Presse ein Artikel aus dem Jahr 2018. Der (Gast-)Autor nahm Bezug auf einen Protest in Griechenland (wir berichteten auf unserem News Blog am 4. Februar 2018 über diesen Protest) der gegen Mazedonien gerichtet war.
In diesem Artikel erklärt der Autor Wolfgang Mayr einige Hintergründe über die Griechisch-Mazedonischen Beziehungen. Als auch über die Diskriminierungen welche die Mazedonier (sowie andere ethnische Minderheiten) ausgesetzt sind, die in Griechenland leben.
Unter dem Bild findet Ihr den Beitrag im originalen Wortlaut.
Die griechische Minderheiten Baustelle
In Athen demonstrierten neulich eine Million Griechen gegen die nördliche Nachbarrepublik. Die „ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“ darf sich nicht Mazedonien nennen. Denn, so skandierten Hunderttausende in der griechischen Hauptstadt, „Mazedonien ist griechisch“. Der 92-jährige Komponist Mikis Theodorakis, einst ein glühender internationalistischer Kommunist, rief die Massen dazu auf, die Existenz Mazedoniens abzulehnen.
Seit der Unabhängigkeitserklärung Mazedoniens 1991 verhindert Griechenland die Namensgebung. Anlass für den Aufmarsch der griechischen Volksfront zur Rettung Mazedoniens ist ein Kompromiss, den die beiden linken Regierungen in Skopje und Athen erzielt haben. Mazedonien darf sich laut der erzielten Einigung entweder Neu-Mazedonien, Ober- oder Nord-Mazedonien nennen. Dagegen laufen sie nun Sturm, die Nationalisten, die Konservativen, die Linken, fast alle Griechen, wenn man Umfragen glauben darf.
Die anti-mazedonische Volksfront befürchtet, so die schräge Argumentation, dass eine Republik Mazedonien Anspruch auf die nördlichen Landesteile Griechenlands erheben könnte. Diese Landesteile galten vor dem Ersten Weltkrieg als Ägäisch-Mazedonien, eine multinationale Region, in der damals Griechen, Türken und Slawo-Mazedonier ein Drittel der eine Million zählenden Einwohnerschaft zählten.
Seit damals hat Griechenland alles unternommen, Ägäisch-Mazedonien zu gräzisieren. Slawische Personen- und Ortsnamen wurde gräzisiert und das Slawische wurde verboten. Die Gräzisierung war total. 1946 schlugen sich deshalb viele Slawo-Mazedonier im griechischen Bürgerkrieg auf die Seite der Kommunisten. Nach der Niederlage der Kommunisten flüchteten mehr als 100.000 Slawo-Mazedonier nach Jugoslawien und nach Bulgarien.
Das Singen von Liedern wurde verboten
Die griechischen Regierungen, rechte wie linke, rächten sich an den Slawo-Mazedoniern. Sie wurden nicht als Minderheit anerkannt, mit allen Folgen. Das Slawo-Mazedonische wird kaum noch gesprochen, slawo-mazedonische Kultur darf nicht stattfinden. Politische Aktivitäten werden von der Geheimpolizei unterbunden. Bis in die 1980er Jahre wurden Mazedonier strafrechtlich verfolgt, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Sprache gebrauchten. Verboten war auch das Singen mazedonischer Lieder.
In Griechenland sind politische Willensbekundungen von nationalen Minderheiten untersagt. So wurde im Februar 2001 der griechische Aromune Sotiris Bletsas zu 15 Monaten Haft verurteilt, weil er eine Landkarte verteilt hatte, auf der die in Griechenland lebenden Minderheiten eingetragen waren.
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Im November 2002 demonstrierten griechische Rechtsradikale in Thessaloniki gegen die Konferenz der EU-Minderheitenbüros „European Bureau for lesser used languages (Eblul)". Sie verlangten den Abbruch der Tagung über die Lage der sechs Minderheiten in Griechenland. Lokaler Organisator war die slawo-mazedonische Minderheitenparteien Rainbow. Die Partei einer verleugneten Minderheit als Ausrichter einer Tagung brachte die Rechten in Rage. Ihre Argumentation: Es gibt in Griechenland keine Minderheiten. Die griechischen Behörden folgten den rechten Slogans. Sie untersagten die Gründung eines Eblul-Komitees in Griechenland.
Im März 2016 stürmten griechische Faschisten eine Informationsveranstaltung im Europaparlament über die türkische Minderheit in Griechenland. Bei einer Anhörung der Europäischen Volkspartei EPP/EVP machte deren Abgeordneter Csaba Sogor, Angehöriger der ungarischen Minderheit in Rumänien, gemeinsam mit Vertretern der Westthrakientürken aus Griechenland auf die beschämende Lage der Minderheiten in Griechenland aufmerksam.
Das Ende der Türkenherrschaft
Wie die meisten Balkanstaaten hat sich Griechenland seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich in Jahrzehnten blutiger Auseinandersetzungen erkämpft. Erst 1826 konnte das südliche Griechenland seine Unabhängigkeit erklären. 600 Jahre lang war das griechische Siedlungsgebiet von Istanbul aus beherrscht worden.
Anfang des 20. Jahrhunderts bewohnten die Griechen alle Küsten der Ägäis und des Schwarzen Meeres bis nach Trapezunt im Osten (heute Türkei) und nach Burgas im Norden (heute Bulgarien). Erst im Balkankrieg 1912/13 eroberten griechische Truppen den südlichen Epirus, Südmazedonien und Westthrakien. Griechen bildeten dort nur Minderheiten innerhalb der Bevölkerung. Weite Teile dieser Regionen waren von christlichen Bulgaren, Pomaken (bulgarischsprachige Muslime) und Aromunen, von Albanern christlichen und muslimischen Glaubens, von Türken und von muslimischen Roma bewohnt.
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In vorangegangenen Jahrhunderten hatten Albaner Regionen Südgriechenlands bis hinunter zum Peloponnes und sogar einzelne griechische Inseln besiedelt und den griechisch-orthodoxen Glauben angenommen. Viele dieser gräzisierten christlichen Albaner nahmen an den griechischen Unabhängigkeitskämpfen teil. Letzte Reste dieser Bevölkerungsgruppe bezeichnen sich heute als Arvaniten und treten für Förderung und Anerkennung ihrer Kultur ein.
1922 versuchte Griechenland, die Siedlungsgebiete an der östlichen Ägäisküste, in Ostthrakien und Konstantinopel an sich zu reißen. Mit Zustimmung Englands und Frankreichs marschierten griechische Truppen Richtung Ankara und wurden vor der türkischen Hauptstadt von Kemal Atatürk vernichtend geschlagen, nachdem die Alliierten ihre Waffenlieferungen eingestellt hatten. Die griechischen Siedlungsgebiete in Ionien und Ostthrakien wurden von türkischen Truppen erobert. Hunderttausende, überwiegend Zivilisten, verloren ihr Leben.
Die Bevölkerung wird ausgetauscht
Im Vertrag von Lausanne wurde – auch durch britischen Druck – die Vertreibung von 1,5 Millionen Griechisch-Orthodoxen aus der Türkei sanktioniert. Sie wurden in Nordgriechenland angesiedelt. Gleichzeitig mussten über 500.000 Muslime – unter ihnen Türken, Albaner, Pomaken und Roma – Nordgriechenland verlassen. Die Schrecken von Flucht, Vertreibung und Völkermord werden seither als beispielhafter „Bevölkerungsaustausch“ umschrieben. Nur die muslimischen Minderheiten Westthrakiens wurden, geschützt durch ein Sonderstatut, ebenso von der Umsiedlung ausgenommen wie 250.000 Griechen in Konstantinopel/Istanbul und auf den Inseln Imbros und Tenedos.
Mit dem unseligen Mittel des Bevölkerungsaustauschs förderten ebenfalls in den 1920er Jahren auch bulgarische und griechische Politiker die weitere Homogenisierung ihrer Länder. Die griechische Bevölkerung musste die Südküste Bulgariens verlassen, slawische Mazedonier wurden von Griechisch Mazedonien nach Bulgarien umgesiedelt. Während des griechischen Bürgerkrieges 1945-48 mussten weitere zehntausende Slawomazedonier Griechenland verlassen und wurden auf die kommunistischen Staaten Osteuropas verteilt. Bis heute dürfen die meisten von ihnen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die damals im Land Zurückgebliebenen und ihre Nachfahren sind seither nur noch eine kleine Minderheit.
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Während der Befreiungskämpfe der Völker des südlichen Balkans gegen die Türken hatte sich die große Mehrheit der Slawomazedonier an Bulgarien orientiert. Die mazedonischen Dialekte galten als Teil des Bulgarischen, bis Tito-Jugoslawien 1944 eine eigene mazedonische Hochsprache schuf. Seither wurde Alexander der Große, der fast ein Jahrtausend vor der slawischen Besiedlung des Balkan Mazedonien beherrscht hatte, eine Art mythischer Begründer Mazedoniens. Als es der südlichsten Republik des alten Jugoslawien gelang, ohne kriegerische Auseinandersetzung mit Belgrad die Unabhängigkeit zu erlangen, nahm der neue Staat Mazedonien das antike mazedonische Sonnensymbol in seine Flagge auf.
Affekte des Chauvinismus
Die Griechen reagierten prompt. Es waren wohl die größten Massendemonstrationen in Griechenland seit Ende des Zweiten Weltkrieges, als 1994 fast zwei Millionen Griechen mit antimazedonischen Parolen durch Athen und Saloniki marschierten. Griechenland gelang es, eine internationale Diskussion zu entfachen, Skopje zu erpressen und die europäischen Institutionen in Sachen Mazedonien zu paralysieren. Bis heute erleben viele Griechen Affekte des Chauvinismus, die sich aus Unsicherheit speisen. Vielleicht auch aus schlechtem Gewissen wegen der Vertreibung der Mehrheit der mazedonisch- und bulgarischsprachigen Bevölkerung aus Griechenland und der gnadenlosen Unterdrückung der dort zurück gebliebenen Minderheiten.
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Noch bedenklicher sind die Folgen der antitürkischen Ressentiments. Die griechische öffentliche Meinung folgte Serbiens Agitation gegen Bosnien, als es dessen südslawische Muslime mit Aggression und Genozid überzog und zu Türken erklärte. Griechenland nahm entschieden Partei für den Krieg des Milosevic. Dessen Schlächter Karadjic erhielt einen griechischen Menschenrechtspreis. Griechenland unterlief über Serbien verhängte Sanktionen und lieferte Nachschub für Belgrad, nicht zuletzt Petroleum aus dem Nahen Osten. Das Milosevic-Regime durfte seine finanziellen Transaktionen über Athen und selbst über das ferne Zypern abwickeln.
Erst eine tolerante griechische Minderheitenpolitik nach den Maßstäben des Europarates und der Europäischen Union, erst die Anerkennung der Rechte von Aromunen, Arvaniten und Slawomazedoniern und erst die Beendigung diskriminierender Gesetze und Regierungspraxis gegenüber den drei muslimischen Minderheiten der Türken, Pomaken und Roma werden verkrustete Ressentiments auflösen und das Verhältnis Griechenlands zu den Nachbarn in Südosteuropa entkrampfen.
Geschrieben von Wolfgang Mayr, Gastautor, für Achgut.com veröffentlicht am 06.02.2018
Wolfgang Mayr arbeitete bis 2017 für Radiotelevisione Italiana (RAI) Südtirol, den deutschsprachiger Fernseh- und Hörfunksender für Südtirol der italienischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft Rai, als Chefredakteur.
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