Am heutigen 5. Dezember gelang Mazedonien ein Schlag gegen die Politik Athens im so genannten Namensstreit. Der Internationale Gerichtshof urteilte, dass die Regierung in Athen nicht das Recht hatte, den Nato-Beitritt des Nachbarlandes zu blockieren. Da ein Abkommen zwischen beiden Ländern diesbezüglich bestand - das s.g. Interimsabkommen.
So berichtete der Spiegel nach dem Urteil:
Im Streit um den Namen von Mazedonien hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag Griechenland Verstöße gegen seine Verpflichtungen vorgeworfen. Mit dem Veto gegen eine Aufnahme Mazedoniens in die Nato habe Griechenland gegen das 1995 zwischen beiden Ländern geschlossene Interimsabkommen verstoßen.
Wie man heute nun weiß, war der Urteilsspruch des IGH "für die Katz": Entgegen den Erwartungen forderte das Gericht Griechenland nicht auf, für die Zukunft eine mögliche Blockadehaltung aufzugeben, wenn Mazedonien weitere Mitgliedschaften bei anderen internationalen Organisationen beantrage.
Zudem zog der Urteilsspruch in keinster Weise irgendwelche Konsequenzen für Griechenland nach sich. Die das "Recht des Stärkeren" somit vollends auskosteten, bis sich eine mazedonische Regierung willig zeigte dem Druck Athens zu erliegen, was mit dem Prespa Abkommen letztendlich im Jahr 2018 geschah.
DAS URTEIL DES IGH IM VERFAHREN DER REPUBLIK MAZEDONIEN GEGEN GRIECHENLAND
Am 05.12.2011, um 10 Uhr MEZ, fällte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag das Urteil im Klageverfahren der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik. Der mit 16 Richtern (16 Stimmen) besetzte IGH stellte in seinem Urteil fest:
- Der IGH sei in dieser Angelegenheit (Klage der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik wegen Verletzung des Interimsabkommens) zuständig. Alle entsprechenden Anträge seien in zulässiger Weise eingereicht worden. (14 zu 2 Stimmen)
- Die Hellenische Republik habe gegen Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens vom 13.09.1995 verstoßen, in dem es den Beginn von Gesprächen über eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO auf dem Bukarester NATO-Gipfel im April 2008 verhindert habe. (15 zu 1 Stimmen)
- Alle weiteren Anträge von Seiten der Republik Mazedonien im Zusammenhang mit dem Klageverfahren würden abgelehnt. (15 zu 1 Stimmen)
Der Sachverhalt
Am 17.11.2008 reichte die Republik Mazedonien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag Klage gegen die Hellenische Republik ein. Hintergrund war der NATO-Gipfel von Bukarest im April 2008. Auf diesem Gipfel sollte über eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO entschieden werden. Die Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO sollte unter der vorläufigen Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ erfolgen und wurde von ihr auch entsprechend beantragt. Die Hellenische Republik war und ist gegen eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO solange der Streit um den Namen „Makedonien“ nicht gelöst ist.
Nach Auffassung der Republik Mazedonien hätte die Hellenische Republik auf dem NATO-Gipfel von Bukarest ihr Veto gegen eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO eingelegt. Dies wäre ein Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens zwischen der „Ersten Partei“ (Hellenischen Republik) und der „Zweiten Partei“ (Republik Mazedonien) vom 13.09.1995 gewesen. Dort verpflichtet sich die Hellenische Republik eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation, in der sie selbst Mitglied ist, zu unterstützen und nicht zu verhindern, solange die Republik Mazedonien gemäß der Resolution 817 des Sicherheitsrate der Vereinten Nationen vom 07.04.1993 unter der vorläufigen Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ die Mitgliedschaft anstreben würde.
Nach Auffassung der Hellenischen Republik sei die Entscheidung auf dem NATO-Gipfel von Bukarest im April 2008 im Konsens mit allen anderen NATO-Mitgliedern gefallen und sei damit keine rein griechische Entscheidung gewesen. Vielmehr habe es sich um eine Entscheidung der NATO-Mitglieder gehandelt. Für eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien kommen daher auch nicht die Regelungen des Interimsabkommens zur Anwendung sondern die rechtlichen Grundsätze der NATO. Damit sei der IGH an sich auch nicht zuständig in der Sache zu entscheiden. Gemäß Artikel 22 des Interimsabkommens sei dieses Abkommen nicht gegen die Rechte und Pflichten aus bereits bestehenden bilateralen und multilateralen Abkommen der Hellenischen Republik mit anderen Staaten und internationalen Organisationen gerichtet, so dass in diesem Fall die rechtlichen Grundsätze der NATO zum tragen kommen würden. Somit könne auch kein Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens vorliegen. Des Weiteren machte die Hellenische Republik auch geltend, dass die Republik Mazedonien ihrerseits gegen das Interimsabkommen verstoßen würde. Vor allem der Bezug der Republik Mazedonien auf das antike Makedonien durch die Verwendung antiker makedonische Symbole, etwa die Aufstellung einer Statue von Alexander dem Großen in Skopje oder die Verwendung des Sterns von Vergina bei offiziellen Anlässen, sei ein Verstoß gegen Artikel 7 des Interimsabkommens. Ebenfalls sei auch die Verwendung der Bezeichnung „Republik Mazedonien“ ein Verstoß gegen Artikel 5 des Interimsabkommens, solange auf Basis der Resolution 845 des UN-Sicherheitsrates keine endgültige Klärung der Namensfrage erreicht worden sei.
Zwischen dem 21.03. und dem 30.03.2011 fand die Anhörung der beiden Parteien vor dem IGH statt. Am 21.03.2011 sowie am 22.03.2011 stellte die Republik Mazedonien ihren juristischen Standpunkt dar und am 24.03.2011 sowie am 25.03.2011 die Hellenische Republik den ihrigen. Am 28.03.2011 reagierte die Republik Mazedonien auf den juristischen Standpunkt der Hellenischen Republik und am 30.03.2011 erfolgte die Reaktion der Hellenischen Republik auf den juristischen Standpunkt der Republik Mazedonien. In der Regel erfolgen die Urteile des IGH innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach der Anhörung. Diese Regel ist jedoch nicht als verbindliche Norm in den Statuten des IGH festgelegt. Im Falle des Verfahrens der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik wurde von dieser Regel abgewichen und das Urteil erst rund 8 Monaten nach der Anhörung am 05.12.2011 verkündet.
Nachbetrachtung
Das Urteil war eindeutig: Die Hellenische Republik hat gegen das Interimsabkommen mit der Republik Mazedonien vom 13.09.1995 verstoßen, als sie im April 2008 einen möglichen Beitritt der Republik Mazedonien zur NATO verhindert hatte. Auch fünf Jahre nach dem Urteil hat sich nichts geändert. Noch immer ist die Republik Mazedonien kein NATO-Mitglied. Im Falle der angestrebten Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) ist bisher ebenfalls nichts passiert, obwohl die Republik Mazedonien seit der Flüchtlingskrise faktisch die EU-Außengrenzen schützt und bereits seit Dezember 2005 EU-Beitrittskandidat ist. Das Interimsabkommen wird in beiden Fällen weiterhin durch Griechenland verletzt, ohne dass dies substantielle Konsequenzen hat.
Begründung
Der IGH sei gemäß Artikel 21 Absatz 2 des Interimsabkommens zwischen der „Ersten Partei“ (Hellenischen Republik) und der „Zweiten Partei“ (Republik Mazedonien) vom 13.09.1995 zuständig in der Sache zu entscheiden. Nicht entscheiden könne der IGH hingegen in der Differenz über die Namensfrage gemäß Artikel 5 Absatz 1 des Interimsabkommens zwischen beiden Parteien. Die Differenz in der Namensfrage zwischen beiden Parteien wird in der Resolution 817 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 07.04.1993 festgestellt, worauf sich Artikel 5 des Interimsabkommens bezieht. Diese Differenz in der Namensfrage könne nur im Rahmen von Gesprächen zwischen den betroffenen Parteien überwunden werden. Nicht zur Anwendung kommen würde Artikel 22 des Interimsabkommens, wonach das Interimsabkommen früheren bilateralen und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen nicht entgegenstehen und daher ausschließlich der NATO-Vertrag zum tragen kommen würde.
Die Hellenische Republik habe durch ihr Verhalten und durch ihre Einwirkung auf die anderen Mitglieder der NATO den Beginn von möglichen Beitrittsgesprächen der NATO mit der Republik Mazedonien verhindert. In Folge dessen kam es auf dem Bukarester NATO-Gipfel im April 2008 auch zu keiner Einladung der Republik Mazedonien zu Gesprächen über eine mögliche Mitgliedschaft in der NATO. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens sei die Hellenische Republik verpflichtet gewesen, eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation, in der sie selbst Mitglied ist, zu unterstützen und nicht zu verhindern. Die Hellenische Republik dürfe gemäß Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien nur in dem Falle verhindern, wenn diese unter einem anderen Namen als den in Absatz 2 der Resolution 817 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 07.04.1993 genannten Namen „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ die Mitgliedschaft anstreben würde. Dies sei jedoch im Falle einer möglichen Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO nicht der Fall gewesen. Auch andere Verstöße gegen das Interimsabkommen durch die Republik Mazedonien können von der Hellenischen Republik nicht geltend gemacht werden. Nach Auffassung des IGH habe die Republik Mazedonien nur in einem Fall, im Jahre 2004, gegen Artikel 7 Absatz 2 des Interimsabkommens verstoßen, in dem es ein antikes makedonisches Symbol verwendet habe. Noch im gleichen Jahr sei diese gemessen an Artikel 7 Absatz 2 des Interimsabkommens unzulässige Verwendung dieses Symbols eingestellt worden. Die Hellenische Republik müsse gemäß Artikel 7 des Interimsabkommens der Republik Mazedonien zunächst ihre Ansicht über einen möglichen Verstoß gegen das Interimsabkommens zur Kenntnis bringen. Dann habe die Republik Mazedonien die Möglichkeit zur Korrektur oder zur Begründung einer anderen Auffassung wonach eine Korrektur nicht notwendig sei. Insgesamt stellte der IGH in seiner Begründung fest, dass keine weiteren Verstöße gegen das Interimsabkommens von Seiten der Republik Mazedonien vorliegen würden. Somit habe die Hellenische Republik kein Recht, den Beginn von Gesprächen über eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO und damit im Ergebnis die mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO selbst zu verhindern.
Die politische und rechtlichen Folgen des IGH-Urteils
Das IGH-Urteil vom 05.12.2011 ist für beide Parteien, namentlich die Hellenische Republik und die Republik Mazedonien, verbindlich. Die Hellenische Republik muss eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation, in der sie selbst Mitglied ist, etwa der EU oder der NATO, fördern und darf diese grundsätzlich nicht verhindern, solange eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien unter der in der Resolution 817 des VN-Sicherheitsrates genannten Bezeichnung „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ erfolgt. Die Hellenische Republik darf die Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation nur dann verhindern, wenn sie unter einem anderen Namen als den in der Resolution 817 des VN-Sicherheitsrates genannten Namen erfolgen soll. Mögliche andere Verstößen von Seiten der Republik Mazedonien gegen das Interimsabkommens müssen dieser von der Hellenischen Republik zunächst erst einmal angezeigt werden. Dann hat die Republik Mazedonien die Möglichkeit zur Korrektur oder zur Begründung, warum sie eine Korrektur nicht für notwendig hält. Die Hellenische Republik hat jedoch auch in diesem Fall nicht grundsätzlich das Recht eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation zu verhindern. Das Urteil des IGH betrifft grundsätzlich den Fall des Bukarester NATO-Gipfels vom April 2008 und nicht andere Fälle. Weitere Einwände seitens der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik wegen Verletzung des Interimsabkommens wurden abgelehnt. Durch das Urteil des IGH wird die Position der Republik Mazedonien gegenüber der Hellenischen Republik grundsätzlich gestärkt. Eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO ist jetzt wahrscheinlicher geworden, wenn auch alle anderen dazu notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Falle einer möglichen Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der Europäischen Union (EU) wird es wohl zu einem Kompromiss kommen, in dem die Beitrittsgespräche mit der Republik Mazedonien wohl gestartet werden, jedoch der Beitritt selbst erst nach einer Lösung des sogenannten Namensstreits erfolgen wird. Dies bedeutet wahrscheinlich auch eine stärkere Beteiligung der EU an einer Lösungsfindung im sogenannten Namensstreit zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien. Das Urteil des IGH präjudiziert zwar keine mögliche Lösung des sogenannten Namensstreits selbst, stärkt jedoch auch in diesem Fall die Position der Republik Mazedonien gegenüber der Hellenischen Republik. Auch wenn die Position der Republik Mazedonien gestärkt worden ist, die Mitgliedschaft in der EU und der NATO ist damit noch nicht erreicht. Die EU oder auch die NATO kann weiterhin eine mögliche Mitgliedschaft der Republik Mazedonien von einer Lösung des sogenannten Namensstreits abhängig machen. In diesem Fall kann die Republik Mazedonien auch nicht gegen die EU oder die NATO klagen. Es ist jetzt die Frage zu welcher Position die einzelnen Mitglieder der EU und der NATO insgesamt nach diesem Urteil kommen werden. Wahrscheinlich wir es zu Kompromissen kommen, in dem zwar mit offiziellen Beitrittsgesprächen begonnen wird jedoch der Beitritt selbst erst nach einer Lösung des sogenannten Namensstreits erfolgt.
Die Folgen des IGH-Urteils für die Namensfrage der Republik Mazedonien
Das IGH-Urteil betrifft nicht den sogenannten Namensstreit und die daraus resultierenden Namensfrage für die Republik Mazedonien. Der IGH hat abschließend über eine Verletzung des Interimsabkommens durch die Hellenische Republik geurteilt. Der sogenannte Namensstreit bleibt ein politischer Streit zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien. Dieser Streit kann nach gegenwärtigem Stand der Dinge auch nur im Rahmen der Politik gelöst werden. Natürlich ist die Frage der Namensgebung eines Staates auch eine Frage des Völkerrechts. Grundsätzlich hat ein Staat aufgrund des freien Selbstbestimmungsrechtes seines Volkes (Staatsvolkes) das Recht seinen Namen frei zu wählen. Die im Falle des sogenannten Namensstreits zu klärenden Frage ist, ob die Verwendung eines bestimmten Namens unter Umständen zu einer Verletzung der kulturellen Integrität eines anderen Staates führen kann und diese kulturelle Integrität einen Unterfall der territorialen Integrität darstellt. Wenn die kulturelle Integrität einen Unterfall der territorialen Integrität darstellt und diese verletzt wird, dann liegt unter Umständen ein möglicher Verstoß gegen das Völkerrecht vor. Doch eine solche Rechtsfrage ist dem IGH nicht vorgelegt und bisher nie geklärt worden. Die Republik Mazedonien könnte den IGH beauftragen, ein Rechtsgutachten in dieser Angelegenheit zu erstellen, wie es etwa die Republik Serbien im Falle der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo getan hat. Ein Rechtsgutachten ist zwar für die betroffenen Parteien nicht völkerrechtsverbindlich, kann jedoch eine Basis für eine mögliche politische Lösung bieten. Ob ein reguläres Klageverfahren vor dem IGH zielführend sein würde ist eine andere Frage. Denn hier würden auch noch die Resolutionen 817 und 845 des VN-Sicherheitsrates eine Rolle spielen. Gemäß der Resolution 817 des VN-Sicherheitsrates vom 07.04.1993 wurde die Republik Mazedonien unter der vorläufigen Bezeichnung „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ in die Vereinten Nationen (VN) aufgenommen. In dieser Resolution wurde die Existenz des Namensstreits zwischen der Republik Mazedonien und der Hellenischen Republik sowie die Bedeutung einer Lösung dieses Streits für den Frieden und die Stabilität in der betroffenen Region festgestellt. In einer weiteren Resolution des VN-Sicherheitsrates (845) vom 18.06.1993 wurden beide Parteien dazu aufgefordert, den zwischen ihnen bestehenden Namensstreit im Rahmen und unter Vermittlung der Vereinten Nationen zu lösen. Erst wenn die Hellenische Republik gegen eine der Resolutionen des VN-Sicherheitsrates eindeutig und nachhaltig verstoßen würde, wäre eine reguläre Klage vor dem IGH zielführend. Insgesamt kann festgestellt werden, dass eine juristische Klärung vor dem IGH wahrscheinlich keine politische Lösung des sogenannten Namensstreits bzw. keine politische Klärung der Namensfrage der Republik Mazedonien abschließend ersetzen kann.
Die Hintergründe zum Klageverfahren vor dem IGH
Nachfolgend werden noch einmal die Hintergründe aufgeführt, die zur Klage der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik geführt haben. Nach einer Darstellung des Sachverhaltes selbst, mit den jeweiligen Auffassungen der streitenden Parteien, wird auch noch einmal auf die Vorgeschichte zum Interimsabkommen und auf das Interimsabkommen selbst eingegangen. Eine ausführliche Darstellung des Sachverhaltes und der Auffassungen der streitenden Parteien befindet sich in dem Artikel: „Zusammenfassung der Anhörung vor dem IGH im Verfahren Republik Mazedonien gegen Griechenland“.
Der Sachverhalt
Am 17.11.2008 reichte die Republik Mazedonien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag Klage gegen die Hellenische Republik ein. Hintergrund war der NATO-Gipfel von Bukarest im April 2008. Auf diesem Gipfel sollte über eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO entschieden werden. Die Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO sollte unter der vorläufigen Bezeichnung „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ erfolgen und wurde von ihr auch entsprechend beantragt. Die Hellenische Republik war und ist gegen eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO solange der sogenannte Namensstreit nicht gelöst ist. Nach Auffassung der Republik Mazedonien hätte die Hellenische Republik auf dem NATO-Gipfel von Bukarest ihr Veto gegen eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in der NATO eingelegt. Dies wäre ein Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens zwischen der „Ersten Partei“ (Hellenischen Republik) und der „Zweiten Partei“ (Republik Mazedonien) vom 13.09.1995 gewesen. Dort verpflichtet sich die Hellenische Republik eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in einer internationalen Organisation, in der sie selbst Mitglied ist, zu unterstützen und nicht zu verhindern, solange die Republik Mazedonien gemäß der Resolution 817 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 07.04.1993 unter der vorläufigen Bezeichnung „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ die Mitgliedschaft anstreben würde. Nach Auffassung der Hellenischen Republik sei die Entscheidung auf dem NATO-Gipfel von Bukarest im April 2008 im Konsens mit allen anderen NATO-Mitgliedern gefallen und sei keine rein griechische Entscheidung sondern eine Entscheidung der NATO-Mitglieder gewesen. Für eine Mitgliedschaft der Republik Mazedonien komme daher auch nicht das Interimsabkommen zur Anwendung sondern die rechtlichen Grundsätze der NATO. Damit sei der IGH an sich auch nicht zuständig in der Sache zu entscheiden. Gemäß Artikel 22 des Interimsabkommens sei dieses Abkommen nicht gegen die Rechte und Pflichten aus bereits bestehenden bilateralen und multilateralen Abkommen der Hellenischen Republik mit anderen Staaten und mit internationalen Organisationen gerichtet, so dass in diesem Fall die rechtlichen Grundsätze der NATO zum tragen kommen würden. Somit könne auch kein Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 des Interimsabkommens vorliegen. Desweiteren machte die Hellenische Republik auch geltend, dass die Republik Mazedonien ihrerseits gegen das Interimsabkommen verstoßen würde. Vor allem der Bezug der Republik Mazedonien auf das antike Mazedonien durch die Verwendung antiker makedonische Symbole, etwa die Aufstellung einer Statue von Alexander dem Großen in Skopje oder die Verwendung des Sterns von Vergina bei offiziellen Anlässen, sei ein Verstoß gegen Artikel 7 des Interimsabkommens. Ebenfalls sei auch die Verwendung der Bezeichnung „Republik Mazedonien“ ein Verstoß gegen Artikel 5 des Interimsabkommens, solange auf Basis der VN-Resolution 845 keine endgültige Klärung der Namensfrage erreicht worden sei. Zwischen dem 21.03. und dem 30.03.2011 fand die Anhörung der beiden Parteien vor dem IGH statt. Am 21.03.2011 sowie am 22.03.2011 stellte die Republik Mazedonien ihren juristischen Standpunkt dar und am 24.03.2011 sowie am 25.03.2011 die Hellenische Republik den ihrigen. Am 28.03.2011 reagierte die Republik Mazedonien auf den juristischen Standpunkt der Hellenischen Republik und am 30.03.2011 erfolgte die Reaktion der Hellenischen Republik auf den juristischen Standpunkt der Republik Mazedonien. In der Regel erfolgen die Urteile des IGH innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach der Anhörung. Diese Regel ist jedoch nicht als verbindliche Norm in den Statuten des IGH festgelegt. Im Falle des Verfahrens der Republik Mazedonien gegen die Hellenische Republik wurde von dieser Regel abgewichen und das Urteil erst rund 8 Monaten nach der Anhörung am 05.12.2011 verkündet.
Die Vorgeschichte zum Interimsabkommen
Die Republik Mazedonien wurde gemäß der Resolution 817 des VN-Sicherheitsrates am 08.04.1993 unter der vorläufigen Bezeichnung „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ in die Vereinten Nationen (VN) aufgenommen. In dieser Resolution wurde die Existenz des Namensstreits zwischen der Republik Mazedonien und der Hellenischen Republik sowie die Bedeutung einer Lösung dieses Streits für den Frieden und die Stabilität in der betroffenen Region festgestellt. In einer weiteren Resolution des VN-Sicherheitsrates (845) vom 18.06.1993 wurden beide Parteien dazu aufgefordert den zwischen ihnen bestehenden Namensstreit im Rahmen und unter Vermittlung der Vereinten Nationen zu lösen. Mit dieser Aufgabe ist seit 1994 der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen Matthew Nimetz beauftragt. Nach dem Wahlsieg der „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“ PASOK bei den griechischen Parlamentswahlen am 10.10.1993 wurde Andreas Papandreou griechischer Premierminister. Dieser trat für eine harte und kompromisslose Linie gegenüber der Republik Mazedonien ein und brach den Dialog mit ihr zur Überwindung des Namensstreits ab. Am 16.02.1994 verhängte die Hellenische Republik einseitig ein Embargo gegenüber der Republik Mazedonien und verschärfte damit ihren politischen Kurs gegenüber der Republik Mazedonien noch weiter. Die Republik Mazedonien durfte keinerlei Warenverkehr mehr über den nordgriechischen Hafen Thessaloniki abwickeln, davon ausgenommen waren nur humanitäre Güter. Am 18.02.1994 erweiterte die Hellenische Republik die Handelssperre auf alle Einfuhren aus der Republik Mazedonien. Die diplomatischen Bemühungen und die vorausgehenden 29 Monate andauernden Gespräche zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien führten schließlich erst im September 1995 zu einem Erfolg. Zu dieser Zeit bestand das Embargo bereits seit 19 Monaten und hatte gravierende negative Auswirkungen auf die Wirtschaft der Republik Mazedonien.
Das Interimsabkommen vom 13.09.1995
Am 13.09.1995 wurde am Sitz der Vereinten Nationen in New York zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien das Abkommen über die Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen (Interimsabkommen, kurz IA) vom damaligen griechischen Außenminister Karolos Papoulias und dem damaligen Außenminister der Republik Mazedonien Stevo Crvenkovski unterzeichnet. Die Hellenische Republik verpflichtete sich gemäß dieses Abkommens dazu innerhalb einer Frist von 30 Tagen das Embargo gegenüber der Republik Mazedonien aufzuheben. Die Republik Mazedonien verpflichtete sich unter anderem dazu auf ihre bisherige Flagge mit dem Stern von Vergina zu verzichten. Dieses Symbol wird dem antiken Mazedonien zugerechnet, dass nach griechischer Auffassung Teil der griechischen Geschichte und Kultur ist. In diesem Abkommen wird der jeweilige verfassungsmäßige Name der Vertragsparteien nicht genannt. Die Hellenische Republik wird in diesem Abkommen als „Erste Partei“ bezeichnet während die Republik Mazedonien als „Zweite Partei“ bezeichnet wird. Jede Partei wird in diesem Abkommen verpflichtet, die territoriale Integrität und Souveränität der jeweils anderen Partei (Artikel 3 IA) sowie die bestehenden völkerrechtlichen Grenzen zu achten (Artikel 2 IA). Die Hellenische Republik wird dazu verpflichtet die Republik Mazedonien völkerrechtlich anzuerkennen und normale diplomatische Beziehungen zu ihr aufzunehmen (Artikel 1 IA). Die Republik Mazedonien wird dazu verpflichtet auf umstrittene Symbole, wie namentlich etwa der Stern von Vergina, zu verzichten (Artikel 7 IA). Beide Parteien werden in ihren bilateralen Beziehungen zueinander dazu verpflichtet gut nachbarschaftlich miteinander umzugehen (Artikel 14 IA) und sich gemäß völkerrechtlicher Normen zu verhalten. So hat sich die Hellenische Republik gemäß Artikel 11 Absatz 1 dieses Abkommens dazu verpflichtet die Mitgliedschaft der Republik Mazedonien in internationalen Organisationen, in der die Hellenische Republik selbst Mitglied ist, zu fördern und diese nicht zu verhindern. Allerdings hat die Hellenische Republik das Recht Einspruch zu erheben, wenn die Republik Mazedonien nicht unter den in Absatz 2 der Resolution 817 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen genannten Namen „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ beizutreten versucht. Artikel 5 des Interimsabkommens verpflichtet beide Parteien den Namensstreit auf Basis der Resolution 845 des VN-Sicherheitsrates im Rahmen und unter Vermittlung der Vereinten Nationen in bilateralen Gesprächen zu lösen. Bis dahin hat jede Partei gemäß Artikel 7 des Interimsabkommens die Pflicht alles zu unterlassen, was einer friedlichen Lösung des Namensstreits zu wieder läuft. So haben beide Parteien gemäß Artikel 7 des Interimsabkommens jede Propaganda und alle feindlichen Aktivitäten zu unterlassen, die einer friedlichen Lösung des Namensstreits im Wege stehen. Am 14.10.1995 hob die Hellenische Republik das Embargo gegenüber der Republik Mazedonien auf. Die Grenze zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien wurde am nächsten Tag für den freien Handelsverkehr wieder geöffnet. Am 13.10.1995 wurde in der mazedonischen Hauptstadt Skopje eine endgültige Vereinbarung über die Normalisierung der bilateralen Beziehungen und über die gegenseitige Einrichtung von diplomatischen Vertretungen in beiden Hauptstädten unterzeichnet. Durch das Interimsabkommen normalisierten sich die Beziehungen zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien wieder.
Fazit
Die Republik Mazedonien hat das Klageverfahren gegen die Hellenische Republik im wesentlichen gewonnen. Die Position der Republik Mazedonien gegenüber der Hellenischen Republik ist damit gestärkt worden. Doch die Mitgliedschaft in der EU und NATO ist damit noch längst nicht erreicht. Auch präjudiziert das IGH-Urteil keine mögliche Lösung des sogenannten Namensstreits zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien bzw. eine daraus resultierende Klärung der Namensfrage für die Republik Mazedonien. Doch wahrscheinlich gibt das Urteil einen wichtigen Impuls jetzt verstärkt in Gesprächen zwischen den betroffenen Parteien und unter stärkerer Beteiligung der EU und der Vereinten Nationen zu einer Lösung zu kommen. Diese politische Lösung ist im berechtigtem Interesse sowohl der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien als auch der EU und der NATO.
QUELLE: Pelagon.de
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