Wenn man die Geschichte der Antike nüchtern betrachtet, hat wohl Rom eine Art Groll gegen Makedonien gehegt. Etliche Schlachten schlug man in der als Makedonisch-Römischen Kriegen bekannten Auseinandersetzung.
Der Erste Makedonisch-Römische Krieg wurde zwischen 215 und 205 v. Chr. geführt, der Zweite Makedonisch-Römische Krieg dauerte von 200 bis 197 v. Chr. und als Folge des Dritten Makedonisch-Römischen Krieges (171–168 v. Chr.) wurde das einst so mächtige Makedonische Reich zerschlagen. Nachdem man das glorreiche makedonische Reich geschlagen und zersplittert hatte, begann der Raubzug der Römer.
In einem Artikel auf unserem Blog hatten wir beschrieben, wie die Römer aus Makedonien so viel Gold stahlen, so dass der ordinäre Bürger Roms keine direkte Steuern mehr zahlen musste. Da muss man sich nicht wundern, wenn archäologische Funde aus gewisse Epochen im ehemaligen makedonisch dominierten Raum rar sind.
Der Raubzug bezog aber nicht nur das Materielle mit ein, sondern auch das Wissen.
Aus Makedonien stahlen die Römer sogar so viel Wissen, dass sie durch die Beute ihre erste Bibliothek errichten konnten!
Dieses historische Faktum wird in der allgemeinen Geschichtsschreibung kaum erwähnt und ist meist nur eine Randbemerkung wert, wenn man es denn überhaupt erwähnt. Aber der tatsächliche Wert, ist wie bei dem verschwundenen Gold, kaum abzuschätzen...
Raubzug in Makedonien beschert Rom erste Bibliothek
Man muss schon genau suchen wenn man Informationen finden will, wie Rom seine erste Bibliothek gründete.
Der erste Hinweis auf eine Bibliothek in Rom ist eben eine lapidar erwähnte "Büchersammlung", die der römische General und Konsul Aemilius Paullus (ca. 229 - 160 v. Chr.) nach Hause brachte, nachdem er Perseus von Makedonien (ca. 212 - 166 v. Chr.) nach dem dritten Makedonisch-Römischen Krieg letztendlich im Jahr 168 vor Christus besiegt hatte.
Dieses Modell des Raubzuges durch den Sieger war nicht unüblich und in der Geschichte oft praktiziert (neben einer möglichen Vernichtung der Werke). Vielleicht ist am bekanntesten die Aneignung durch Sullas von Aristoteles Bibliothek. Bücher, oder sagen wir 'verfasstes Wissen' war eben gern gesehenes und geschätztes Beutegut.
Wie in früheren Kulturen waren Bibliotheken insbesondere mit Tempeln, Palästen und Staatsarchiven verbunden.
Römische Schriftsteller waren produktive Kommentatoren der Werke ihrer Vorgänger aus dem "antiken Griechenland", und so hatten sie eindeutig Zugang zu diesen Texten in Bibliotheken. Die römischen Bibliotheken waren in zwei Bereiche unterteilt: einen für Latein und einen für die Koine.
"Aus den Ruinen des Königreichs Makedonien behielt er nur die Bibliothek von König Perseus für sich" - Encyclopedia Britannica über Lucius Aemilius Paullus Macedonicus
Liest man sich diese Aussage der Britannica so durch, hat es gar den Anschein, als ob diese "paar Bücher" kaum die Rede wert sind.
Das dem Nicht so ist, können wir in "Ancient Libraries" herausgegeben von Jason König, Aikaterini Oikonomopoulou, Katerina Oikonomopoulou und Greg Woolf lesen.
Dort wird auf den Umfang der "paar Bücher" eingegangen, auch wenn es heutzutage schwer ist das tatsächliche Volumen dieser Literaturwerke abzuschätzen. Es existiert keine Bestandsliste, bzw. keine solche wurde entdeckt oder hat die Zeit überdauert, man weiß es heute einfach nicht was der makedonische König an Bücher so alles besaß.
Wie aber in dem Werk richtig angemerkt, dürfte der Umfang der Sammlung doch sehr Umfangreich gewesen sein. Makedonien war ja schließlich schon über 150 Jahre vorherrschende Macht im "antiken Griechenland". Und das ist vielleicht auch sogar der springende Punkt, die Büchersammlung des Makedonen war so umfangreich, dass die Römer zum ersten mal eine 'richtige Bibliothek' gründen konnten!
So lesen wir in "Ancient Libraries", auf Seite 126:
The main significance of the Aemilian seizure of the Macedonian royal library is the size of the library involved. It must have presented a real culture shock for Rome. The Roman aristocracy certainly had possessed private collections of books before this, but it seems likely that they were modest in size and perhaps limited in their range. The exact scale of the Macedonian royal library is unknown. But given that Macedonian patronage of writers predated Alexander's conquests, it is likely to have been quite large, if perhaps not comparable with the royal libraries of Alexandria and Pergamum. However, compared to existing libraries in Rome at the time, it would have seemed huge. It is possible too - although it is a matter of principles of organization that were already in use in Alexandria and that would be employed in the libraries in Rome. Here, then, is the real significance of the Aemilian capture of this library, not that it was the first library in Rome, but that for the first time, the Romans could see, in their own midest, the sort of collection being built up in Hellenistic East. It showed the Romans what a library could be.
Deutsch:
Die Hauptbedeutung der Beschlagnahme der makedonischen Königsbibliothek durch Aemilian ist die Größe der betreffenden Bibliothek. Es muss ein echter Kulturschock für Rom gewesen sein. Die römische Aristokratie hatte zuvor sicherlich private Büchersammlungen besessen, aber es scheint wahrscheinlich, dass sie bescheiden und vielleicht in ihrem Umfang begrenzt waren. Der genaue Umfang der makedonischen königlichen Bibliothek ist unbekannt. Angesichts der Tatsache, dass die makedonische Schirmherrschaft der Schriftsteller vor Alexanders Eroberungen lag, dürfte sie ziemlich groß gewesen sein, wenn auch nicht vergleichbar mit den königlichen Bibliotheken von Alexandria und Pergamon. Im Vergleich zu den damals in Rom existierenden Bibliotheken wäre sie jedoch riesig. Es ist auch möglich - obwohl es sich um Organisationsprinzipien handelt, die bereits in Alexandria angewendet wurden und in den Bibliotheken in Rom eingesetzt werden. Hier liegt also die wahre Bedeutung der aemilianischen Eroberung dieser Bibliothek, nicht dass es die erste Bibliothek in Rom war, sondern dass die Römer zum ersten Mal in ihrer Mitte sehen konnten, welche Art von Sammlung im hellenistischen Osten aufgebaut wurde. Es zeigte den Römern, was eine Bibliothek sein könnte.
Einen weiteren Hinweis finden wir in "Dictionary of Dates, and Universal Reference" von Joseph T. Haydn. Unter dem Eintrag "Library" (=Bibliothek) lesen wir einen kurzen Exkurs über die Historie der Bibliotheken. In einem Satz wird auch Rom und seine erste Bibliothek beiläufig erwähnt.
So lesen wir:
...The first library at Rome was instituted 167 B.C.; it was brought from Macedonia...
...Die erste Bibliothek in Rom wurde 167 v. Chr. gegründet; sie wurde aus Makedonien gebracht...
Literatur:
- Dictionary of Dates, and Universal Reference. Joseph T. Haydn. 1841. Pg. 305.
- Ancient Libraries, von Jason König (University of St Andrews), Katerina Oikonomopoulou (Humboldt-Universität zu Berlin), Greg Woolf (University of St Andrews, Scotland). Cambridge University Press, 2013
- Encyclopedia Britannica, Web, Lucius Aemilius Paullus Macedonicus
- Ancient History Encyclopedia, Web, Libraries in the Ancient World
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