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Die Mazedonier sehen sich nicht als Bulgaren oder Serben - Deutsche Allgemeine Zeitung 1927

 


Einen Artikel vom heutigen Tag, den 18. Oktober, haben wir in der Deutschen Presse entdeckt. Aus dem Jahr 1927. 

Dieser Artikel stammt noch vor dem zweiten Weltkrieg aus den "Zwischenkriegsjahren". Allgemein würde man nur an den Ersten Weltkrieg denken, doch im Balkan gingen noch die zwei Balkankriege voraus. Als Serbien, Bulgarien und Griechenland zuerst gegen das osmanische Reich um Makedonien kämpften, um sich dann im Zweiten Balkankrieg sich um die Beute kriegerisch zu streiten.

Und hier genau passt der Artikel, in dem auch von einer "serbisch-bulgarische Annäherung" gesprochen wird, sowohl im Ersten Weltkrieg als auch im Zweiten Balkankrieg war man Kriegsgegner.

Doch viel wichtiger, aus mazedonischer Sicht, sind für uns im Artikel die Abschnitte "Die Mazedonische Frage" und "Die Stellung der Mazedonier". Denn im Artikel, dies wird ziemlich schnell klar, beschreibt der Autor auch die Bestrebungen Serbiens und Bulgariens um Mazedonien und insbesondere der Mazedonier.

Während beide Parteien versuchen die Mazedonier zu Serbisieren, oder zu Bulgarisieren, hinterfragt der Autor, was die Mazedonier eigentlich selbst wollen. Er scheint davon schon Kenntnis gehabt zu haben, denn, wie er schreibt 

Ich habe in früheren Aufsätzen darauf hingewiesen, dass die Mazedonier selber sich nicht als Bulgaren und nicht als Serben, sondern als Mazedonier betrachten. 

Folgend eine Abschrift des ganzen Artikels.

Bulgariens auswärtige Politik

Die serbisch-bulgarische Annäherung - Die Mazedonische Frage — Die Stellung der Mazedonier — Organisation und politisches Ziel 

Von unserem Sonderberichterstatter fs. Sofia, im Oktober 

Die Frage einer Annäherung zwischen Bulgarien und Jugoslawien wurde in der letzten Zeit in der europäischen Presse des öfteren erörtert. Der Ausgangspunkt der Diskussion war Belgrad; in Belgrader Blättern erschienen auch die Meldungen von der Begegnung des bulgarischen mit dem jugoslawischen König, die an sie geknüpften Kombinationen und schließlich das Dementi der ganzen Geschichte. 

Man erinnert sich vielleicht, wie der Führer der slowenischen Volkspartei und Bundesgenosse der Belgrader Regierungsradikalen, Koroschetz, vor geraumer Zeit nach Sofia fuhr zu Besprechungen, von denen er sich sehr befriedigt zeigte. 

Kluge Kenner und Beobachter des Balkan erklärten zu dieser Reise mit einem gewissen humoristischen Unterton, daß Koroschetz ja doch ein Slowene und sogar ehemaliger Bundesgenosse der Bulgaren sei, der sicherlich gar nichts gegen sie auf dem Herzen habe und vor allem den Balkan gar nicht kenne. Zweifellos sei seine freundliche Miene überall mit freundlichen Mienen erwidert und seine dargebotene Hand kräftig geschüttelt worden, so daß die Eindrücke, die er in Sofia sammelte, wohl sehr günstig gewesen sein mögen. 

In Belgrad dagegen wisse man ganz genau, daß zwischen Slowenen und Bulgaren andere Beziehungen beständen als zwischen Serben und Bulgaren, weshalb sich denn auch Koroschetz' Reise für die serbische Politik recht gut auswerten ließ. 

In Sofia durchschaute man das serbische Spiel weit besser, als es Koroschetz selber klar geworden sein mag. Für die Serben handelte es sich darum, bei anderen Mächten, die sich um Bulgariens Freundschaft in einem Jugoslawien nicht gerade günstigen Sinne bemühen könnten, Mißtrauen zu erwecken, Bulgarien zu isolieren, um es nachher desto billiger haben zu können. 

Die bulgarische Politik der freien Hand versuchte man von Belgrad aus zu durchkreuzen, um, nach Störung anderer möglicher Beziehungen Bulgariens, dann selber mit Bulgarien abzuschließen, natürlich unter jenen Bedingungen, die der stärkere Staat diktieren würde, niemals unter der Gleichberechtigung, die für die bulgarische Politik der Leitgedanke jeden Abschlusses mit Serbien sein muß. 

So wurden dann die von Belgrad lancierten Meldungen über die Annäherung in Sofia durchaus nicht mit großer Freude verzeichnet und sie haben die Zweifel in die Aufrichtigkeit der serbischen Politik durchaus nicht behoben. Da die Bulgaren unter einer „aufrichtigen serbischen Politik" eine solche Politik verstehen, die bereit ist, die materiellen zwischen beiden Staaten bestehenden Schwierigkeiten wirklich zu beheben und aus diese sehr realistische Weise eine Annäherung zu erreichen, vielleicht sogar einer Vereinigung vorzuarbeiten, so ist ihre äußerste Skepsis den Tendenzen der serbischen Politik gegenüber wohl verständlich. 

Denn bisher haben die Serben noch niemals etwas anderes gezeigt als leere Hände; geschweige denn, daß es zu materiellen Besprechungen gekommen wäre, hat man von Belgrad aus auch nicht im entferntesten daran gedacht, auch nur die Möglichkeiten einer gemeinsamen Verhandlungsgrundlage abzutasten. 

Von der mazedonischen Frage ganz abgesehen, — selbst die Annexion bulgarischen Gebietes bei Zaribrod und Bosilegrad scheint nicht als eine „Frage" betrachtet zu werden, obgleich sie auf die Bulgaren im höchsten Maße erbitternd wirkt, für die Serben aber ohne die geringste Bedeutung ist und es sie wirklich nichts gekostet hätte, wenn sie eine Rückrevidierung der Grenzen als eine Möglichkeit hätten durchblicken lassen. 

Somit kann man nur feststellen, daß eine Bereitwilligkeit zu ernsthaften Verhandlungen auf serbischer Seite nicht existiert. Es ist durchaus nicht so, daß man den Ausgleich mit Jugoslawien in Bulgarien ablehnt. Sondern es ist so, daß man nicht sieht, daß die Serben faktisch etwas unternehmen, um diesen Ausgleich zu ermöglichen. 

Würden sie das tun, so würde man in Bulgarien vielleicht sehr schnell eine Tendenz zur Vereinigung beider Staaten sich durchsetzen sehen. Das aber erforderte von Serbien Eingeständnisse in der mazedonischen Frage.

Für die offizielle bulgarische Politik existiert die mazedonische Frage nicht. Das gehört zum System der unbedingten außenpolitischen Neutralität. Aber die Sprache der Tatsachen ist eindeutig und klar, ein Desinteressement an Mazedonien kann aus taktischen Grunden gezeigt werden, ein Desinteressement im Sinne eines wirklichen Verzichts ist ausgeschlossen. Dafür sorgt jene starke Kraft des bulgarischen politischen Lebens, die sich „mazedonisches Komitee" nennt. Das Gewicht des Tatsachenkompleres "Mazedonien" hat für Bulgarien eine starte Bedeutung im negativen Sinne: die bulgarische Politik kann nichts unternehmen, was auf eine Aufgabe Mazedoniens und der Mazedonier hinausliefe oder nur den Anfang einer solchen Aufgabe darstellte oder nur den Verdacht eines solchen Aufhebens aufkommen ließe. 

Diese Bindung kann die bulgarische Politik nicht abstreiten, selbst wenn sie es wollte. Sie ist eine gegebene Tatsache, mit der zu rechnen, an der nichts zu ändern ist, auch wenn sie nicht überall und immer gerade als sehr bequem empfunden werden sollte. Es mag sein, daß sich Bulgaren en petit comite nicht immer sehr erfreut darüber zeigen, daß die bulgarische Politik stets auf die Mazedonier Rücksicht zu nehmen hat, ja, daß die bulgarische Politik vor den Wagen der Mazedonier gespannt zu sein scheint. Dieses Bedauern ist ohnmächtig und kann auf die Leitung und den Ablauf der Ereignisse keinen Einfluss gewinnen. Die Organisation, der Einfluß und der Geist der mazedonischen Emigration in Bulgarien gehören sicherlich zu dem merkwürdigsten und reizvollsten, was das politische Leben Europas überhaupt zu bieten vermag. 

Da entfaltet sich eine Welt für sich, ein Staat mit allen Einrichtungen eines Staates: Polizei, Miliz, Gericht, Verwaltungskreisen und Verwaltungsaufbau, Finanzen, durchgebildete Leitung, vollgestopft mit menschlichen Leidenschaften — aber auch gehalten voll strengster Disziplin, und durch blüht und durchglüht von einem auf seine, auf mazedonische Art kämpfenden, durch Not und Tod gehenden Freiheitswillen. 

Es ist glatter Unsinn, zu behaupten, daß die Mazedonische Organisation eine künstlich am Leben gehaltene Bewegung sei, die augenblicklich durch italienisches Geld eben über Wasser gehalten werde, daß die Mazedonier von den Italienern Geld (und Waffen?) bekommen, mag wohl sein. Aber Ausgangspunkt und Rückgrat der Bewegung ist die in ihr gesammelte lebendige Kraft. 

Die mazedonische Bewegung in Bulgarien ist stark durch zweierlei: einmal durch ihre Organisation und durch den Gedanken der mazedonischen Freiheit, den sie repräsentiert. Dann aber durch die individuellen Leitungen der Mazedonier als Bürger des bulgarischen Staates. Der Mazedonier ist dem Bulgaren überlegen, die einen sagen an Intelligenz, die anderen sagen an Energie — die Tatsache selber steht außer Zweifel. 

Der Mazedonier ist dem Bulgaren überlegen, die einen sagen an Intelligenz, die anderen sagen an Energie

Und so trifft man sie in allen bürgerlichen Funktionen an erster Stelle. Einem französischen Buche, das der Sonderberichlerstatter des „Temps", Paul Gentizon, geschrieben hat (Le Drama bulgare 1921) entnehme ich folgende Aufstellung: 

Mazedonier waren 1934: 8 Minister, 13 Diplomaten, 11 Metropoliten, 12 Universilätsprosessoren, 83 Gelehrte, Schriftsteller und Publizisten, 93 Maler, Bildhauer und Musiker, 21 hohe Beamte des öffentlichen Unterrichtswesens, 96 Magistratsbeamte, Richter und Advokaten, 24 hohe Verwaltungsbeamte, 70 bekannte Ärzte, 330 Offiziere der aktiven Armee, 153 Offiziere der Reserve, und unter diesen 8 Generale, 17 Oberste und 13 Majore. Vermutlich wird diese Statistik stimmen.

Leider ist zahlenmäßig nicht zu erfassen, was die Mazedonier im sonstigen bürgerlichen Leben für Stellungen einnehmen, aber sicher ist, daß ihre Leistungen dort die entsprechenden sind. Und um schließlich noch ein Beispiel aus der Gegenwart zu geben: Heute, 1927, sind Mazedonier die Gesandten in Washington, Angora, Rom, Warschau, London, der Ministerpräsident, der außerordentlich einflussreiche Stadtkommandat von Sofia.  

Es scheint mir ganz zweifellos, daß in dieser bürgerlichen Tüchtigkeit der Mazedonier ihre eigentliche Kraft und ihre Stellung innerhalb des bulgarischen Staates beruht. Organisation und Geist der Bewegung würden nicht verhüten, daß die Mazedonier eben doch von den bulgarischen Bulgaren als Bulgaren aus Mazedonien empfunden und behandelt worden wären. Aber diese Bulgaren aus Mazedonien bilden zehn Prozent der Bevölkerung Bulgariens und deren tüchtigsten Teil. 

Darin, in ihrer bürgerlichen, nicht in ihrer politisch organisatorischen Sonderstellung, liegt, glaube ich, letztlich das Geheimnis Ihres dauernden Erfolges und ihrer nicht besiegten Kraft. Für die Mazedonier sind die Mazedonier Bulgaren. Wenn die Slaven in Mazedonien sich als Mazedonier, und weder als Serben noch Bulgaren bezeichnen, so ist das nach Anschauung der mazedonischen Kreise reine Taktik. Diesen Bulgaren sind durch die Gewaltherrschaft der Serben ihre religiösen und kulturellen Instruktionen genommen worden. 

Nach einer dem Völkerbünde im Jahre 1924 zugeleiteten Denkschrift gab es noch im Jahre 1913 unter der türkischen Herrschaft fünf bulgarische Bischöfe, 647 Priester, 677 Kirchen, 14 Kapellen und 48 Klöster, 550 Volksschulen mit 847 Lehrern und 33156 Schülern, 36 Progymnasien mit 106 Professoren und 1965 Schüler, und fünf Gymnasien mit 25 Professoren und 875 Schülern ohne die Kirchen, Schulen usw. des Strumizabezirkes zu zählen, das im Jahre 1919 an Serbien abgetreten Norden ist. 

Im griechischen Mazedonien gab es zur selben Zeit 399 bulgarische Priester, 300 Kirchen, 78 Kapellen und ll Klöster, 408 Volksschulen mit 408 Lehrern und 17210 Schulen, 23 Progymnasien mit 103 Professoren und 931 Schülern und 4 Gymnasien mit 50 Professoren und 825 Schülern. 

„Unter der serbischen und griechischen Regierung gibt es keine Spur mehr von diesen kulturellen und religiösen Institutionen, sie sind jetzt alle in den Händen der Serben und der Griechen, die die Bischöfe und die meisten Priester und Lehrer verjagt oder gezwungen haben, nach Bulgarien oder nach Amerika zu flüchten, während man die Eltern zwingt, ihre Kinder in die griechischen oder serbischen Schulen zu schicken. Das gleiche Schicksal hat auch die anderen kulturellen Einrichtungen ereilt, wie Bibliotheken, Lesesäle, Wohlfahrtsgesellschaften usw. Und natürlich ist es nicht erlaubt, Bücher oder Zeitungen in bulgarischer Sprache zu drucken oder zu lesen". Nicht einmal die Führung der alten bulgarischen Namen ist gestattet.

Man weiß, daß die Serben umgekehrt die These vertreten, daß die Mazedonier keine Bulgaren, sondern Serben seien, die sie aus Bulgarisierungstendenzen erlösten. Wie weit es ihnen gelungen ist, diese These wissenschaftlich zu begründen, entzieht sich meiner Beurteilung. Weit wichtiger erscheint mir auch die Frage, als was die Mazedonier sich selber fühlen. Ich habe in früheren Aufsätzen darauf hingewiesen, daß die Mazedonier selber sich nicht als Bulgaren und nicht als Serben, sondern als Mazedonier betrachten. Unterdessen habe ich mit neutralen Beobachtern gesprochen, die die Behauptung ausstellen, daß sie sich „im vertraulichen Gespräch" als Bulgaren bekennen. 

Mir scheint heute, daß man allem, was man von Beobachtern über die Stimmung der Bevölkerung selber hört, höchst skeptisch gegenüber stehen muß. Diesen unendlich misstrauisch gewordenen Menschen gegenüber wird es immer sehr schwierig sein, das Aufkommen des Verdachtes zu vermeiden, daß man entweder ein serbischer oder ein mazedonisch-bulgarischer Agent sei. Zutreffend kann vielleicht nur der urteilen, der ihr Vertrauen in monatelangen Zusammenleben so gewinnt, daß sie von der von ihren Leiden, Hoffnungen und Wünschen vor ihm sprechen, ohne das er die in ihrer Wirkung nie kontrollierbaren Mittel ersinnen muß, um sie zum Reden zu bringen. 

Ich habe früher auch darauf hingewiesen, daß die Serben selber ihre Schulpolitik als unfehlbares Mittel zur Serbisierung betrachten. Nun hat die mazedonische Bewegung auch zum Gegenstoß in den Schulen eingesetzt. Trotzdem glauben gute Kenner, daß im geheimen die Mazedonier selber die Schulpolitik der Serben als ein höchst gefährliches, vielleicht sogar in einem Menschenalter zum Erfolg führendes Instrument betrachten. Andere Kenner wieder berichten, daß in mazedonischen Dörfern die Kinder der serbischen Beamten zuvor bulgarisch, aber nicht umgekehrt die Kinder der Mazedonier serbisch lernen. Auch scheint mir, daß die Verwaltungsmisere dazu führen könnte, Serbisierungserfolge in der Schule zu kompensieren und sogar überzukompensieren und zwar desto sicherer, je länger sie dauert. 


Die Anklagen, die die Mazedonier gegen die serbische Verwaltung von Tag zu Tag erheben, sind furchtbar. Ich glaube, man wird ohne Gefahr des Irrtums das folgende als Grund lage festhalten können, 

l. Die Mazedonier fühlen sich zweifellos nicht als Serben. Die Frage kann nur sein: fühlen sie sich als Mazedonier, d. h, entwickelt sich bei ihnen oder hat sich schon entwickelt ein Gefühl ihrer Eigenart, daß sie sowohl von Serben wie von Bulgaren unterschieden sind, oder fühlen sie sich schlechtweg als Bulgaren. Daß die Mazedonier in Bulgarien sich schlechtweg als Bulgaren bezeichnen, kann sehr Wohl auch „taktische" Gründe haben, und mit den besonderen Lebens- und Politischen Umständen sich erklären, in denen sie stehen, 

2. Die Serben betreiben eine radikale Serbisierungspolitik, 

3. Die Misswirtschaft in der Verwaltung ist sehr groß. Wenn die Verwaltung schon in Bosnien und in der Vojvodina unsachverständig, korrupt, parteipolitisch und terroristisch ist, so ist sie das in Mazedonien sicherlich ganz besonders. Denn nach Mazedonien geht kein Beamter gerne, weil er die Strapazen und Entbehrungen fürchtet, das Beamtenmaterial wird dort also noch schlechter sein — und ferner ist Mazedonien schweres Kampfgebiet, stellt also ganz besondere Anforderungen an die Verwaltung. Wie weit die Misere nun geht, kann nur ein sehr gewiegter Kenner aus dem Gegeneinander der Ausgaben feststellen, vielleicht nur eine internationale Kommission, die die Mazedonier auch dringend verlangen. 

Die Aktivität der illegalen revolutionären Organisation, die auf jugoslawischem Boden arbeitet, die Wohl zu unterscheiden ist von der legalen Organisation der Emigration in Bulgarien, hat zweifellos nachgelassen. 

Der Druck der serbischen Militär- und Polizeigewalt ist doch zu groß. Zum Kampf stellt sie sich nur, wenn sie unbedingt muß. Auch mögen politische Rücksichten mitsprechen: einmal will man die bulgarische Politik nicht belasten, zweitens haben im Augenblick auch die Serben kein Interesse daran, alles was vorkommt an die große Glocke der Belgrader Presse zu hängen. Sicherlich sind auch die serbischen Terrormethoden abgeflaut. Ob sie wirklich aufgehört haben, kann man bei vorsichtigem Urteil schon deshalb bezweifeln, weil selbst ein von Belgrad kommender Befehl Schwierigkeit haben wird, wirklich durchzudringen. Das Programm der Mazedonier selber hat gewechselt: einst erstrebten sie Angliederung Mazedoniens an Bulgarien, dann Autonomie Mazedoniens, heute wäre mit ihnen auch über eine Autonomie Mazedoniens im Rahmen des S.H.S. Staates zu reden. Die Erfüllung auch dieser letzten Forderung würde für Serbien noch immer ein Zugeständnis von außerordentlicher Tragweite bedeuten, Anzeichen zur Bereitwilligkeit es zu, machen, sind nirgends vorhanden. Aber die Spekulation über die Möglichkeit eines solchen Zugeständnisses und seine Konsequenzen hat nicht nur den Wert einer Reflexion, sondern wird darüber hinaus die ganze Kompliziertheit, ja vielleicht Unlösbarkeit der Lage zeigen, (Ein Schlußoussatz folgt.)

QUELLE: Deutsche Allgemeine Zeitung, 18.10.1927, Berlin. Link zum DFG Viewer